Barrierefreiheit: Vom Randthema zur gesetzlichen Pflicht

Barrierefreiheit betrifft nicht nur Websites – sondern auch alle digitalen Dokumente. Ab 28. Juni 2025 ist das keine Kür mehr, sondern Pflicht. Das regelt das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Wer jetzt nicht handelt, riskiert Bußgelder und Imageverlust. Was Unternehmen jetzt tun müssen, um rechtzeitig vorbereitet zu sein, welche Dokumente wirklich betroffen sind und wie ein barrierefreies PDF überhaupt entsteht – darüber sprechen wir mit Creative Director Christian Köhler.

Christian, du bist Creative Director und verantwortest einen unserer größten Kunden bei zebra, bei denen das Thema Barrierefreiheit zuerst aufploppte. Kannst du noch mal mit deinen Worten erklärten, was genau das bedeutet?

Christian Köhler: Klar! Zunächst, es betrifft weit mehr als man denkt. Nicht nur PDFs auf Webseiten, sondern auch alle digitalen Dokumente, die Unternehmen aktiv bereitstellen oder per E-Mail verschicken – von Angebotsunterlagen bis AGBs. Und es reicht nicht, sie nur optisch ansprechend zu gestalten. Barrierefrei heißt, für alle zugänglich, lesbar, verständlich.

Kannst du das mal an einem Beispiel, einer PDF beschreiben?

CK: Das PDF muss lesbar und navigierbar sein – auch ohne Maus, auch mit einem Screenreader. Dazu gehören eine klare Struktur, korrekte und sinnvolle Lesereihenfolge, Überschriftenlogik, Alt-Texte bei Bildern, verständliche Sprache, klare Kontraste. Es geht also nicht nur um Technik, sondern auch um inhaltliche Klarheit.

Der Aufwand ist überschaubar, wenn man ihn früh mitdenkt. Aber er ist real – und mit Blick auf das Gesetz ab 2025 auch verpflichtend (teilweise abhängig von Unternehmensgröße, angebotenen Produkten und Dienstleistungen). Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um Prozesse anzupassen und Know-how aufzubauen.

Weiterführende Informationen und gesetzliche Grundlagen:

Für alle, die tiefer einsteigen möchten, hier eine Linkliste mit offiziellen Quellen und nützlichen Informationen:

Diese Quellen helfen, die gesetzlichen Anforderungen im Detail zu verstehen – und sie liefern konkrete Hinweise zur technischen Umsetzung von Barrierefreiheit in digitalen Dokumenten.

Was steht denn genau in dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

CK: Dass auch digitale Dokumente barrierefrei sein müssen, und zwar nicht nur bei Behörden. Unternehmen, Organisationen, Dienstleister, also alle, die Informationen bereitstellen, sind künftig dazu verpflichtet. Wichtig dabei ist, dass es nur solche Dokumente betrifft, die ab dem 28. Juni 2025 neu veröffentlicht oder an Kunden verschickt werden.

Für bestehende Dateien gibt es keine Rückwirkung – aber wer vorbereitet sein will, sollte jetzt beginnen. Viele denken bei PDFs nur an Downloads auf der Website – aber auch PDFs, die per E-Mail verschickt werden, müssen barrierefrei sein. Das wird oft vergessen.

Wie sollten Unternehmen jetzt vorgehen?

CK: Am besten pragmatisch:

  1. Zuerst mit allen sichtbaren PDFs auf der Website. Dazu lohnt sich eine gezielte Suche nach PDF- oder Word-Dokumenten über die Website-Suchfunktion oder im Backend.
  2. Dann mit allen Formularen, Preislisten und AGBs, die oft genutzt werden.
  3. Und nicht vergessen: E-Mail-Anhänge, Newsletter-PDFs, interne Schulungsunterlagen – auch das fällt unter die Vorgaben.
  4. Als nächster Schritt sollten Kolleg:innen mit Kundenkontakt angesprochen werden, die regelmäßig digitale Dokumente per E-Mail an Kunden verschicken. Auch diese zählen zur gesetzlichen Pflicht ab 2025.

Habt ihr bei der zebra | group dafür schon einen festen Prozess entwickelt?

CK: Ja. Und das war uns wichtig. Nicht nur für einzelne Projekte, sondern als dauerhaftes Angebot für unsere Kunden. Unser Prozess läuft so:

  1. Wir analysieren das Ausgangsdokument
  2. Unsere Grafiker:innen strukturieren die Inhalte von Anfang an korrekt – mit Fokus auf Lesereihenfolge, sinnvolle Überschriftenstruktur und die richtige semantische Auszeichnung
  3. Dann folgt die Nachbearbeitung im PDF-Editor
  4. Anschließend wird geprüft – technisch und inhaltlich
  5. Und am Ende gibt es ein Prüfzertifikat, das die Barrierefreiheit bestätigt

Das Prüfzertifikat am Ende sieht ein bisschen aus wie ein TÜV-Bericht. Nicht besonders spektakulär, aber sehr beruhigend für alle, die sich absichern müssen oder es dokumentieren möchten.

Und wie läuft das bei Websites, mobilen Anwendungen, Online-Shops etc. ab?

CK: Hier arbeiten wir eng mit unseren Kolleg:innen unserer Digital-Marketing-Agentur Mindbox in Dresden zusammen. Dort ist Barrierefreiheit als Thema in der Webentwicklung naturgemäß schon lange präsent. Dennoch war auch für sie die barrierefreie Gestaltung von digitalen Dokumenten eine neue, aber zentrale Herausforderung. Ziel war es, das Wissen zu bündeln und breit zu verankern – damit künftig jede:r barrierefreie Dokumente erstellen kann. Im Grunde ist der Ablauf ähnlich. Wir starten mit einem QuickCheck, zeigen auf, was zu tun ist, überführen die Inhalte in barrierefreie Formate und schließen ab mit einer erfolgreichen Zertifizierung.

Was passiert, wenn Unternehmen das Thema ignorieren?

CK: Auch das ist klar geregelt. Wer gegen die Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes verstößt, dem drohen Bußgelder – in Deutschland können diese bis zu 100.000 Euro betragen. Das betrifft Unternehmen, die ab dem 28. Juni 2025 weiterhin nicht-barrierefreie digitale Produkte oder Dienstleistungen anbieten, obwohl sie dazu verpflichtet sind.

Neben dem finanziellen Risiko geht es aber auch um Reputationsverluste: Unternehmen, die das Thema Barrierefreiheit ignorieren, laufen Gefahr, Kundengruppen auszuschließen und öffentlich in Kritik zu geraten.

Wie kommt es eigentlich, dass du dich bei dem Thema so gut auskennst?

CK: Ich bin dem Thema vor über 15 Jahren begegnet – das war damals kein Nischenthema, sondern mein Alltag als Gestalter. Webseiten für öffentliche Einrichtungen mussten bereits damals barrierefrei sein. Das war Vorschrift. Ich habe mich deshalb schon früh intensiv damit beschäftigt, da ich damals noch als UX/UI-Designer in einem Büro gearbeitet habe, das ausschließlich für öffentliche Auftraggeber gearbeitet hat.

In der Auseinandersetzung damit wurde mir klar, dass Zugänglichkeit für alle elementar ist und gute Gestaltung heißt, alle mitzudenken und niemanden auszuschließen. Das sollte bei jeder Gestaltung ein Grundsatz sein. Zugänglich gestalten bedeutet nicht, gestalterische Freiheit zu verlieren. Im Gegenteil! Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.

Gibt es etwas, was du zum Abschluss unseren Bestandskunden und neuen Kunden noch mit auf den Weg geben möchtest?

CK: Das größte Missverständnis, was mir aufgefallen ist, dass Kunden denken, Barrierefreiheit sei „nur“ für eine kleine Zielgruppe gedacht. Und dass es unendlich aufwendig wäre. Beides stimmt nicht.

Wenn man Barrierefreiheit von Anfang an mitdenkt, ist der Mehraufwand überschaubar. Schwieriger wird’s, wenn man bestehende PDFs im Nachgang umstellen muss – aber auch das ist machbar. Kunden sollten jedoch einplanen, dass Reinzeichnungen durch die barrierefreie Gestaltung künftig etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen könnten – vor allem, wenn Dokumente viele komplexe Layouts oder interaktive Elemente enthalten.

Für alle Fragen und Unsicherheiten können sich unsere Kunden gern bei ihren bekannten Ansprechpartnerinnen oder direkt bei mir melden. Dann können wir gemeinsam einen Plan machen, um das Thema Barrierefreiheit anzugehen.

Super Hinweis, danke dir, Christian, für das Gespräch!

Ihr:e Ansprechpartner:in