35 Jahre Einheit: Warum der neue Osten jetzt beginnt
Ein Gespräch über Ostimismus, Haltung und die Kraft authentischer Marken
35 Jahre nach der Deutschen Einheit blickt zebra nicht zurück, sondern nach vorn. Im Gespräch mit unseren Geschäftsführern Joerg Fieback und Tino Lang geht es um den neuen Osten, um Haltung, Authentizität – und darum, warum Ostimismus längst mehr ist als eine schöne Wortneuschöpfung.
Was bedeutet dieses Jubiläum für euch persönlich, aber auch für zebra als größte ostdeutsche Agentur?
Joerg Fieback: 35 Jahre – das klingt unfassbar lang, und doch fühlt es sich gar nicht so an. Wir sind ja alle Wendekinder. Thomas Pfefferkorn, mit dem ich zebra gegründet habe, und auch Tino, der damals als Student dazukam. In dieser Zeit hat sich enorm viel getan. Wir sind als Agentur einen langen Weg gegangen, von den Anfängen bis zur heute wohl bekanntesten Agentur in Ostdeutschland, mit wachsender nationaler Sichtbarkeit dank des geholten Titels Kulturhauptstadt für Chemnitz und dem Effie-Gewinn. So haben wir, glaube ich, viel von uns Reden gemacht.
Und ja: wir reden immer noch über den Osten. Nicht, weil wir in der Vergangenheit hängen geblieben sind, sondern weil das Gefälle geblieben ist. Zielgruppenlogiken, Budgets, Entscheidungswege: die Unterschiede zwischen Ost und West sind real. Sie wirken jeden Tag, in Meetings, in Budget-Entscheidungen, in Karrierechancen. Es gibt eben strukturelle Ungleichgewichte, die man nicht wegmoderieren kann. Aber wir haben keine Lust auf irgendeine Opferrolle. Wir wollen gestalten. Dafür bringen wir Haltung mit und das was wir besonders gut können: ein paar ziemlich gute Ideen.
Tino Lang: Für mich ist dieses Jubiläum ein Moment der Neugier und der Besinnung. Ich frage mich immer wieder: Gibt es den Ostdeutschen als Identität überhaupt? Und wenn ja – was macht ihn aus? Beruflich wie persönlich beschäftigt mich das Thema, weil es ja genau das berührt, was uns als Agentur ausmacht: zu verstehen, wie Menschen ticken. Besonders hier. Und ich glaube: Den Osten gibt es – vielleicht kommt er sogar erst noch richtig.
Joerg, du warst dieses Jahr viel unterwegs auf Bühnen – beim MACHN-Festival bis zum Marketingtag Ost. Du sprichst vom „neuen Osten“, von Ostimismus, von Innovationskraft. Was treibt dich an, diesen Osten sichtbar zu machen?
Joerg: Ich will, dass der Osten ein anderes Bild bekommt. Sowohl in den Medien als auch in den Köpfen und in den Herzen der Menschen hier. „Ostimismus“ beschreibt das ziemlich gut: eine Haltung zwischen Zuversicht und Aufbruch.
Natürlich gibt es Hemmnisse, aber die Zeit des Jammerns ist vorbei. Wir müssen uns auch selbst fragen, was wir zum Bild des Ostens beitragen. Ich will da aufrütteln und Mut machen. Denn der neue Osten ist kein musealer, rückwärtsgewandter Ort, sondern eine Region voller Energie, Ideen und Menschen, die etwas bewegen wollen.
Du teilst deine Gedanken ja auch intensiv über LinkedIn, bist auch wegen deines Ostimismus im Campaign-Ranking der 50über50 und eben erst als Thought Leader bei den Campaign Germany Agency of the Year Awards nominiert. Welche Reaktionen haben dich da besonders berührt?
Joerg: Da gibt es viele. Vor kurzem schrieb mir jemand: „Ostimismus ist eines meiner neuen Lieblingswörter – weil deine Beiträge nicht im Schimpfen verweilen, sondern Perspektiven aufmachen.“ In dem Post ging es um die Initiative für die Studienstiftung des Ostens, die jungen Menschen von hier den Zugang zu Stipendien vereinfachen möchte. Wir haben das Team auf dem MACHN-Festival kennengelernt und beim Naming wie Design unterstützt. Solche Initiativen und Akteure müssen viel mehr Bühne bekommen, viel mehr gehört werden!
Mit dem Ideenplanet Ost haben wir gemeinsam mit anderen Agenturen eine Initiative für die Kreativwirtschaft im Osten geschaffen, die ganz speziell für unseren Wirtschaftsraum und für unsere Branche eine große Relevanz entwickelt hat. Die im Übrigen auch bei Branchenvertretern aus der ganzen Republik und im GWA positiv auffällt. Beim Agency of the Year Awards von Campaign Germany sind wir mit dem Ideenplanet Ost nominiert in der Kategorie Collaboration. Vielleicht, weil eine so intensive Collaboration unter Wettbewerbern nur im Osten machbar ist?
Ja genau! Darüber freue ich mich auch sehr, herzlichen Glückwunsch! So macht das Ehrenamt natürlich Spaß und Lust, etwas zu bewegen, oder?
Joerg: Auf jeden Fall! Es zeigt auch, dass da ein echtes Bedürfnis nach einem neuen Selbstbild besteht. Viele sind erleichtert, wenn sie hören: Anderssein darf eine Stärke sein. Und genau das treibt mich an, gemeinsam mit vielen anderen Akteuren dieses Momentum zu nutzen als Impuls für den Wirtschaftsraum, für Medien, für Marken.
Tino, vor fast genau einem Jahr haben wir die zebra-Ost-West-Studie gemeinsam mit Civey erhoben und spannende Erkenntnisse zur ostdeutschen Identität herausgestellt. Was hat dich am meisten überrascht?
Tino: Ehrlich gesagt die Erkenntnis, dass es nach 35 Jahren Einheit immer noch Unterschiede gibt. Sogar mehr bei den Nachwende-Generationen als bei den Älteren. Das hat uns selbst überrascht.
Es stützt die These, dass es ein kulturelles Gedächtnis gibt und etwas, das sich weiterträgt. Wenn ich diese Ergebnisse präsentiere, erlebe ich oft, dass Menschen nach dem Vortrag zu mir kommen und sagen: „Endlich spricht das mal jemand aus.“
Für viele ist das wie eine Art Akupunktur fürs eigene Selbstverständnis, dieses Gefühl, dass Anderssein nicht Schwäche ist, sondern Identität.
Ihr sprecht oft über Haltung und Herkunft. Zwei Begriffe, die auch in der Studie immer wieder auftauchen. Warum ist Authentizität für Marken – und vielleicht auch für Regionen – so entscheidend?
Tino: Weil sie die größte Kraft entfaltet. Ich sage in Markenworkshops immer: Schau dir deine Wurzeln an. Wenn du weißt, woher du kommst, zieht deine Marke Nährstoffe aus dem Boden wie von selbst. Du musst das nicht künstlich erzeugen oder überinszenieren.
Authentizität ist der größte Gewinn einer Marke. Erst daraus entstehen Relevanz, Differenzierung und Glaubwürdigkeit. Und das gilt auch für Regionen. Ostmarken haben da ein riesiges Pfund, weil sie aus echtem Boden schöpfen – aus Geschichte, Haltung, Echtheit. Das kann kein Budget der Welt künstlich erzeugen oder ersetzen.
Joerg: Das kann ich absolut teilen! Menschen sehnen sich nach Haltung, aber auch nach einer Sprache, die Mut macht. Tino bringt mit der Studie Wahrheiten über Zielgruppen ans Licht. Bei mir ist es dieses Wachrütteln.
Wir Ostdeutschen sind oft noch zu leise. Besonders dann, wenn es ums große wirtschaftliche Spiel geht: zu viel Bescheidenheit, zu wenig Bühne. Aber leise gewinnt keine Märkte. Wir befinden uns in einer Aufmerksamkeitsökonomie. Deshalb brauchen wir mehr Sichtbarkeit, stärkere Netzwerke und den Mut, eigene Strukturen zu aufzubauen, statt nur in fremden mitzuspielen. Die Wahrheit ist: Fakten allein machen keine Veränderung. Wir müssen ins Handeln kommen. Substanz gilt es mit Selbstbewusstsein zu verbinden. Nur dann können Marken wachsen. Und Regionen gleich mit.
Was ich spannend finde: Du sagst, es gibt die „Licht-an-Meinung“ und die „Licht-aus-Meinung“ zum Thema Osten. Was meinst du damit, Tino?
Tino: (lacht) Ja, das stimmt. Bei Licht an sagen viele: „Wir sind doch alle gleich, lasst uns über Einheit reden.“ Bei Licht aus sagen dieselben Menschen: „Aber hier ist schon was anders.“
"Dieses Anderssein im Osten ist keine Spaltung – es ist eine Kraft. Es ist ein eigener Nährboden, der Marken, Menschen und ganze Regionen prägt. Und genau da liegt der Schlüssel: den Unterschied nicht leugnen, sondern nutzen."
Tino Lang, Geschäftsführer Beratung, zebra | group
Das Thema "Osten" polarisiert. Während zebra als Sprachrohr des Ostens auftritt, gibt es parallel auch Kunden und Mitarbeitende, die das kritisch sehen – aus Angst vor Etikettierung oder Klischees. Wie geht ihr mit dieser Spannung um?
Joerg: Indem wir eine Einladung aussprechen, den Osten wirklich kennenzulernen. Auch andere, neue und unbekannte Seiten zu entdecken. Der Osten polarisiert, ja. Aber er interessiert auch. Und genau da liegt die Chance. Viele verbinden „Osten“ immer noch mit Vergangenem. Da spielt auch das Bild der Medien wie jährlich in den Ossi-Wochen zwischen Tag der Einheit und Mauerfall eine Rolle. Dazwischen ist weitestgehend Funkstille, wenn nicht gerade mal eine Landtagswahl im Osten ansteht. Wir sagen: Es gibt einen neuen Osten. Kommt her, schaut ihn euch an.
Mit Podcasts wie „Ostwärts“ oder von den East Side Heros, Festivals wie das MACHN oder Initiativen wie Ideenplanet Ost zeigen wir, dass diese Region voller kreativer, unternehmerischer und gesellschaftlicher Energie steckt. Das müssen wir bündeln. Denn wenn wir nicht selbst erzählen, wer wir sind, tun es andere – und dann eben oft falsch.
Tino: Dabei fällt mir ein: Habt ihr das mitbekommen, dass die Ostbeauftragte der Bundesregierung in ihrem aktuellen Jahresbericht ausgerechnet mit dem Satz „Der Osten ist mehr als eine Himmelsrichtung“ punktet. Also quasi mit unserem Claim, den wir damals für die Superillu, die größte Kaufzeitschrift in Ostdeutschland, kreiert haben. Das ist doch ein schönes Kompliment, oder?
Joerg: (lacht) Großartig! Wir wussten es halt schon vor zehn Jahren. Aber Spaß beiseite: Es zeigt, dass das Thema angekommen ist – auch in der Politik.
"Ich spüre bei vielen Menschen, die unsere Vorträge hören, diese Energie des Aufbruchs, den ich gerne Ostimismus nenne. Da wächst etwas Neues. Und wenn wir als größte Agentur des Ostens etwas dazu beitragen können, das Ganze zu verstärken – dann machen wir das mit viel Herz und voller Überzeugung."
Joerg Fieback, Mit-Gründer & CEO, zebra | group
Tino: Und es bedeutet für uns als Agentur sowie für unsere Mitarbeitenden auch, dass wir das Thema "Osten" als Teil der Identität von zebra auch aushalten müssen. Egal, wie wir vielleicht persönlich dazu stehen. Wir können nicht ständig über Wurzeln sprechen und sie dann selbst verleugnen. Haltung heißt, sie zu zeigen – auch wenn sie aneckt.
Ich glaube, jede Marke, die sich auf ihre Herkunft besinnt, gewinnt an Kraft. Und das gilt auch für Regionen. Wir haben hier im Osten Tugenden, aus denen sich etwas machen lässt – Ehrlichkeit, Pragmatismus, Mut zum Anpacken. Das sind keine Altlasten, das ist Kapital.
Joerg: Wir haben einmal die These formuliert – und stehen noch immer dazu: Ostdeutsche sind für Zeiten des Wandels besser gerüstet als viele andere.
Warum? Weil wir Transformation nicht nur aus Lehrbüchern kennen, sondern aus dem echten Leben. Wir mussten neu anfangen, Systeme umkrempeln, uns über Nacht anpassen. Das war kein Business-Buzzword, sondern einfach Realität. Damals lief im Radio „Wind of Change“. Heute gestalten wir ihn.
Diese Erfahrung ist ein kultureller Muskel, der Kraft verleiht. Für Unternehmen, Marken und Regionen, die Wandel nicht fürchten, sondern gestalten.
Tino, du warst diese Woche bei der Tagesspiegel-Konferenz "Der Osten" eingeladen, gemeinsam mit der Sparda Bank, die sich klar als „Deine Bank im Osten“ positioniert. Eure Frage war, warum es sich lohnt, seine Herkunft - zum Beispiel die Ostdeutsche - in seine Markenpositionierung einfließen zu lassen. Was ist dein Purpose hinter Auftritten wie diesem?
Tino: Mein Purpose ist es, eine Arschbombe in diesen deutschen Einheitsbrei zu machen und auf Unterschiede bei Einstellungen und Werten hinzuweisen. Zumindest haben wir das in unserer Studie so herausgefunden und das deckt sich mit dem, was Soziologen sagen. Über Herkunft zu sprechen, heißt ja nicht, in der Vergangenheit zu graben, sondern zu verstehen, was Menschen prägt und was Marken daraus lernen können. Gerade im Osten sehen wir, wie stark Geschichte, Mentalität und Wandel zusammenwirken. Dieses Wissen hilft uns, Marken wirklich im Leben der Menschen zu verankern – nicht abstrakt, sondern auf Basis von Haltung und Realität. Und das ist kein rein ostdeutsches Thema. Wie Joerg schon gesagt hat: Wir stehen als Gesellschaft und Wirtschaft wieder mitten in einem Transformationsprozess – global, digital, kulturell. Unser Vorteil als ostdeutsche Agentur ist, dass wir mit dieser Veränderung groß geworden sind. Wir wissen, wie Transformation funktioniert, wie man Haltung in Bewegung übersetzt. Dieses Wissen setzen wir heute ein für Kund:innen im Osten, im Westen und darüber hinaus.
Was erwartet uns 2026? Wird es eine zebra-Studie 2.0 geben?
Tino: Nach jetzigem Stand, arbeiten wir mit den aktuellen Daten weiter. Mit jeder Konferenz steigt aber das öffentliche Interesse und wir schauen mal, wo das hingeht. 2026 wollen wir die Ergebnisse stärker in die Praxis tragen: in Strategien, Markenarbeit, Beratung. Denn die Zahlen waren nur der Anfang. Jetzt geht’s darum, was wir daraus machen. Spannend ist, dass ich in jeder Diskussion, in jedem Vortrag merke, dass sich schon etwas bewegt. Marken, die sich trauen, ihre Herkunft zu zeigen, gewinnen Profil. Menschen, die über ihre Wurzeln sprechen, finden Haltung. Wir wollen dabei helfen, die vielen Stimmen des neuen Ostens zusammenbringen – und zeigen, was passiert, wenn man Herkunft als Zukunft versteht.
Joerg, wenn du auf das kommende Jahr blickst, was sind die Themen, die dich 2026 besonders antreiben werden? Wo willst du mit zebra, aber auch persönlich, Impulse setzen?
Joerg: Ich werde mich erneut für den GWA-Vorstand zur Wahl stellen. Denn ich bin überzeugt: Wir brauchen in der Agenturbranche mehr Stimmen aus dem Osten. Nicht, um alte Geschichten zu erzählen, sondern um Zukunft zu gestalten – gemeinsam.
Unsere Arbeit für die Landeskampagne "So geht sächsisch", die wir diesen Sommer im Pitch gewonnen haben, liegt mir ebenfalls sehr am Herzen. Sie steht auch ein bisschen dafür, was wir unter Ostimismus verstehen: die positiven Geschichten von hier sichtbar machen, das Potenzial dieser Region zeigen und den Mut fördern, die eigenen Geschichten zu erzählen – optimistisch, stolz und kreativ. Das sollen wir kommunikativ spürbar machen. Sachsen kann so Vorreiter für den ganzen Osten werden und über die Landesgrenzen hinaus wirken.
Danke euch beiden! Ich finde, die Resonanz auf das gesamte Engagement der zebra | group zeigt, wie viel sich gerade bewegt. Die ganzen Einladungen zu Keynotes, die Diskussionen und nicht zuletzt die zahlreichen positiven Reaktionen auf LinkedIn machen deutlich: Wir sind mit unseren Botschaften nicht allein. Immer mehr Menschen teilen den Ostimismus, das neue Selbstverständnis für unsere Region.
Und ich merke es auch persönlich, denn wir alle profitieren davon, wenn der Standort Ost nicht mehr mit einem Makel behaftet ist, sondern als Ort wahrgenommen wird, an dem Menschen gern leben, arbeiten und bleiben wollen - vom Unternehmer bis zu unseren Kindern. Ich würde mich freuen, wenn meine Söhne mal hierbleiben, weil es ihnen hier gefällt und sie eine Perspektive sehen. Vielen Dank für euren unermüdlichen Einsatz für den neuen Osten.
Ihr:e Ansprechpartner:in
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zebra | group GmbH
Katina Scholz
Leiterin Unternehmenskommunikation