Michael Matthiass über „Echtzeit: Die Kunst, intuitiv zu denken“
Warum es gerade bei der Bewertung von Kreation wichtig ist, auf die Intuition zu hören.
Er ist Jung von Matt-Veteran, ADC-Mitglied, Musiker, Texter, Storycoach und Kernfinder. Seine Trainings laufen unter dem Motto: „Story, Sprache, Kern.” Einige Kolleg:innen von zebra und MINDBOX haben Michael Matthiass bereits live beim Agentur-Workshop erlebt – und waren so begeistert, dass wir ihn dieses Jahr glatt noch einmal eingeladen haben.
Vor Kurzem hat Michael sein neues Buch veröffentlicht: "Echtzeit: Die Kunst, intuitiv zu denken". Im Interview möchte ich gern mehr über den vielseitig begabten Autor erfahren, auch was hinter dem Buchtitel steckt und welche Ratschläge er uns als auch unseren Kunden als Top-Kreativer mit auf den Weg gibt.
Vom Kirchenmusiker zum Texter – da drängt sich die Frage ja förmlich auf: Wie bist du in einer Agentur gelandet?
Michael: Über die berühmten nur scheinbar unnötigen Umwege. Bei mir war es das Kulturmanagement-Studium und der tiefe Wunsch, zu schreiben. Der Rest hat sich zurechtgeruckelt.
Und warum hast du das Agenturleben hinter dir gelassen? Was gab dir den Anstoß, dass du dich jetzt deinen Workshops widmest?
Michael: Ich habe die Werber-Zeit in vollen Zügen genossen, aber irgendwann begriffen, was ich eigentlich wollte: unterrichten und „richtig“ schreiben, nicht mehr nur Werbung.
Du gibst ja nicht ausschließlich Workshops. Du hast aktuell ein Buch veröffentlicht, das sich dem Thema Intuition widmet. Welchen Stellenwert hat Intuition für dich und glaubst du, dass mit ihr jede Idee steht und fällt?
Michael: Intuition ist für mich der mit Abstand der wichtigste Ratgeber - neben meiner Frau, die selbst sehr intuitiv ist. Und Ideen entstehen überhaupt erst durch Intuition.
Dein Buch heißt „Echtzeit: Die Kunst intuitiv zu denken“. Warum Echtzeit? Was bedeutet das in diesem Zusammenhang?
Michael: Die Echtzeit ist der unglaublich kurze, leise Moment, in dem Intuition zu uns spricht. Wenn wir ohne innere Vorbereitung, oft ohne Vorwarnung etwas wahrnehmen: ein Gemälde, eine Headline, einen TV-Spot, ein Gebäude, einen Menschen. Diesen Moment nenne ich Echtzeit. In diesem blitzkurzen Augenblick ist unsere Intuition tatsächlich die einzige Stimme in unserem Kopf und gut zu hören. Es hängt viel davon ab, dass wir den Echtzeit-Moment erwischen, denn hier kann Intuition ihre ganze Stärke ausspielen.
Bleiben wir bei der Namensgebung - „Story, Sprache, Kern“ lautet der Titel des Workshops, an dem auch einige zebra-Agenturmitarbeiter teilgenommen haben. Wieso hast du genau diese drei Worte in genau dieser Reihenfolge gewählt?
Michael: Ganz ehrlich? „Kern, Sprache Story“ wäre von der Reihenfolge her richtiger gewesen, aber hier hat mal Schönheit über Richtigkeit gesiegt: „Story, Sprache, Kern“ läuft harmonischer und klingt besser.
„Den Wal vergesst ihr nie wieder!“ - Diese „Drohung“ hast Du ja zu Beginn des Workshops ausgesprochen. Wer nicht dabei war, kann jetzt nur schwer folgen. Erklär doch noch mal kurz in drei Sätzen, was ist der Wal und warum ist er, nicht nur für Kreative, so essenziell?
Michael: Drei Sätze? Der Wal ist meine Metapher für die uralte und spektakulär leistungsfähige Seite unseres Denkens, die wir „Intuition“ nennen. Diese Seite unsers Denkens findet im nichtbewussten Bereich statt, d.h., wir können nicht beobachten, was da gedacht wird, wir bekommen nur die Ergebnisse übermittelt, als Bauchgefühl, Eingebung, Intuition eben. Weil aber Intuition im nichtbewussten Bereich entsteht, übersehen wir buchstäblich die spektakuläre Maschinerie, die dort arbeitet und die in der Konsequenz dazu führt, dass Intuition unfehlbar ist und viel klüger, als wir ahnen. Bonus-Satz: „Wal“ ist nur eine Metapher, aber eine, die in allen Dimensionen stimmt: Wie der Wal ist Intuition uralt, fast immer unterhalb der Wasser- bzw. Bewusstseins-Oberfläche und mit gewaltigen Kräften ausgestattet.
Welche Rolle spielt dein persönlicher Wal in deinen Workshops?
Michael: Die Hauptrolle. Von der Auswahl der Aufgaben bis hin zu den Feedbacks auf Workshop-Ergebnisse ist er das wichtigste Entscheidungsinstrument. Aber es ist nicht mein „persönlicher Wal“, der die Hauptrolle spielt, es ist der gleiche Wal, den alle anderen Menschen ebenfalls besitzen, denn der Wal / die Intuition ist tatsächlich objektiv, gehört uns nicht persönlich.
Intuition nuschelt. Sie hat zwar immer Recht, kann sich aber schlecht ausdrücken. Hast du richtig gelernt, sie zu übersetzen oder ist das ebenfalls etwas, das man mit viel Erfahrung und vor allem Empathie lernt?
Michael: Die zentrale Schwierigkeit ist nicht die Übersetzung selbst, sondern dass wir überhaupt erstmal Intuition und ihre Wahrnehmungen ernst nehmen und dass wir uns dann erlauben, unsere intuitive Wahrnehmung in Sprache zu übersetzen. Das Ergebnis sind dann keine pseudo-schlauen, geschliffenen Aussagen wie „Hier wurde der strategische Markeninsight zielgruppenaffin gebranded…“, sondern Sätze wie: „Irgendwas wackelt am Ende der Copy…“.
Mit Empathie hat all das nichts zu tun. Empathie bezieht sich ja auf Menschen, nicht auf Ideen.
Es braucht immer einen Gegenpart, damit Ausgewogenheit herrscht. Im Fall von Intuition wäre es die Analyse. Würde aber Intuition allein funktionieren?
Michael: Nein. Intuition bezieht sich immer auf etwas, im kreativen Bereich ist es das Briefing. Ohne ein klares, präzises Briefing kann Intuition nicht loslegen und dieses Briefing ist zu einem großen Teil Aufgabe unseres analytischen Denkens.
Eine der überraschendsten Aussagen von dir war „Bewertung von Kreation ist nicht subjektiv“. Wie das? Es gibt doch zig unterschiedliche Meinungen! Beurteilen wir nicht alle unterschiedlich?
Michael: Eine vollständige Antwort würde dieses Interview sprengen, aber sehr vereinfacht gesagt ist die zentrale Fähigkeit der Intuition, in Echtzeit auf universelle Harmonien zuzugreifen. Auf Strukturen, Regeln, Muster, die unserem Universum zugrunde liegen und überall verwirklicht sind. Der Goldene Schnitt ist ein einfaches Beispiel dafür, er kommt in Nautilus-Schnecken vor, Spiralgalaxien und Rosenblüten – und ist einer der Gründe, warum wir vor bestimmten Gebäuden oder Gemälden stehen wie dem Eiffelturm oder der Mon Lisa und diese tiefe Wahrnehmung von Stimmigkeit und Schönheit haben. Das ist eine Ebene weit jenseits von Geschmack oder Meinung und sie ist tatsächlich objektiv.
Du sagst, dass der Erfolg einer Kampagne zu 80 Prozent, wenn nicht sogar zu 90 Prozent, von einem guten Briefing abhängt. Wann ist ein Briefing ein gutes Briefing? Worauf muss man besonders achten?
Michael: Auf die Präzision des Gedankens. Solange nicht messerscharf verstanden und formuliert wurde, was der Kern des Produktes, der Dienstleistung, der Marke etc ist und was genau die Kreation ausdrücken soll, so lange wird es keine wirksame, neue Kreation geben können – das ist eines der zentralen Gesetze kreativer Arbeit.
Welchen allgemeingültigen Rat würdest du Kreativen geben?
Michael: Erst den Kern finden, dann Kreation machen. Vor allem aber: Findet den Flow. Nur im Flow passieren die guten Dinge.
Und welchen Kunden?
Michael: Bei der Bewertung von Kreation auf die Intuition hören.
Vielen Dank, lieber Michael, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast! Wir freuen uns auf eine Workshop-Wiederholung und -Weiterführung mit dir als Storycoach und Kernfinder in unserer Agentur in Chemnitz und wünschen dir viel Erfolg mit deinem Buch! Bis bald!